LONG FcHansGemperleAls Orientierungsläuferin kaum zu glauben, aber ich reiste im April zum ersten Mal nach Portugal. Das Land im Südwesten Europas, bekannt für Top-Wettkämpfe und interessante, fordernde Trainingsgebiete in der kalten Wintersaison, organisierte die Europameisterschaft in einem neu kartierten Küstengebiet nahe Lissabon.

 


Flughafen Zürich, Genfersee, weisse Schneebergen, Toulouse, Pyrenäen, weite Ebenen,  Cristo Rei Statue, Meer, Aqueduto das Àguas Livres, Landebahn, grosses Hallo, Navi, ein paar Kreisel, Schotter- und Schlaglochstrassen und da waren wir, im Süden von Europa, mitten in einem schönen, sandigen Pinienwald.
Unsere Unterkunft, ein nettes Ferienhaus, befand sich etwas abgelegen neben einem Bauernhof mit vielen Hunden und anderen Tieren.


Den ersten Tag nutzten wir, um uns auf die Wälder des Mitteldistanz – und des Langdistanz-Qualifikationslaufs einzustimmen. Einen Monat zuvor lief ich beim Andalucia-O-Meeting in den schnell belaufbaren, abwechslungsreichen spanischen Küstengebiete bei Sevilla. Ich konnte in diesem Gelände gute Läufe abrufen und hoffte in Portugal ähnliches anzutreffen.
Eine wunderschöne Aussicht aufs Meer begrüsste uns beim Long Model Event. Doch gleich bei den ersten Schritten merkte ich, dass Küstengebiete ganz unterschiedliche Charaktere haben können. Langdistanz mit gratis Massage inklusive! Die vielen offenen Passagen waren oftmals gespickt mit kleinen, stechenden Büschen und teilweise hohem  Unterbewuchs. Grüne Bereiche galt es zu meiden und Wege auszunutzen.
Der anschliessende Middle Model Event war eine richtige Erholung für Kopf und Beine. Ähnlich wie in Sevilla bestand der Model Event aus einem sehr schnell belaufbaren Wald mit feinen Höhenkurven-Details und einem dünnen Dünenstreifen mit unübersichtlichen Büschen und sandigen Pfaden. Ein interessanter Wechsel, der Aufmerksamkeit forderte.

Ich war bereit für meine zweite EOC. Die Europameisterschaft wurde wie schon vor zwei Jahren ohne Ruhetag durchgeführt. Zuerst standen die drei Qualifikationen in Mitteldistanz, Langdistanz und Sprint auf dem Programm, gefolgt von den Finalläufen und der abschliessenden Staffel.
Ich hatte die Möglichkeit alle Qualifikationen zu laufen und wollte diese Chance nutzen. Dennoch fokussierte ich nach einem überzeugenden Langdistanz-Testlauf in Österreich und einem guten Langdistanz -Wettkampf in Sevilla meine Vorbereitungen auf die Langdistanz-Qualifikation am zweiten Tag.

Middle Distance – Kein zufriedenstellender Start sowohl bei mir wie auch bei den Veranstaltern

Der Weg zu Posten 1 stand stellvertretend für den ganzen Lauf. Voller Freude auf das feincoupierte Gelände startete ich in den Lauf und liess mich gleich beim Startdreieck verunsichern. Parallelfehler - Der kurze Weg zum Startposten und ein Posten des Zuschauerlaufs an der nächsten Kreuzung brachten mich aus dem Konzept. Solche unkonzentrierte Momente (z.B. falsche Postennummer im Kopf) und unpräzises Kompasslaufen im Postenraum kosteten mich im Rennverlauf viele Sekunden.
Ein guter Start hätte nicht nur für mich sondern auch für die Veranstalter anders aussehen müssen: Falsche Posten, von der Quarantäne aus sichtbare Posten, verschiedene Heats mit gleichen ersten Posten und andere kleinere oder grössere Fehler in der Wettkampforganisation gaben zu Reden.
Der Geländewechsel für die letzten Posten in offenem, abschüssigem Gelände mit viel Unterbewuchs forderte physisch noch einmal viel.

Long Distance – Deutliche Verbesserung im technischen Bereich und eine schöne Belohnung für den physisch fordernden Wettkampf

Grün meiden, Wege ausnutzen war das Motto für den Lauf. Die ersten zwei Posten brauchte ich, um auf die Karte zu kommen. Danach zog ich meine (teilweise besseren, teilweise schlechteren) Routen sauber durch und riskierte wie von Posten 6 zu 7 keine Routen durchs Dickicht. Mehrere LäuferInnen blieben bei kurzen Abkürzungen durchs Grün hängen und verloren sogleich viel Zeit. Nach einem physisch anstrengenden Lauf forderte das offene Gebiet mit viel Unterbewuchs bei der Zielarena noch einmal alles ab. Die Aussicht aufs Meer in der Zielarena und die knappe, unerwartete Qualifikation fürs Finale entschädigte das harte Rennen.
Die Veranstalter waren lernfähig und konnten dank Unterstützung der Teamcoaches alle Posten richtig setzen. Reibungslos verlief der Wettkampf indes nicht; an Diskussionsstoff fehlte es an der täglichen, chaotischen Teamleadersitzung definitiv nicht.

Sprint Distance – Kontrollierter Lauf mit solider Leistung in der Küstenstadt Sesimbra

Für die Sprint-Qualifikation fühlte ich mich dank Google Street View gut vorbereitet und wusste, was auf mich zukommt, u.a. die Routenwahl zu Posten 6. Ohne Zögern wählte ich die linke Route, die etwas kürzer war und weniger Ecken als die rechte zu verzeichnen hatte. Vor dem kleinen Durchgang rechts vom Strich wurden wir gewarnt, da dieser ein Treppenhaus mit vielen Kehren war. Die mittlere Route war somit keine Alternative. Wie bei diesem Posten war ich mit dem Kartelesen stets voraus und konnte mein Tempo gut durchziehen. Dennoch kostete mich das Vorauslesen zweimal zehn Sekunden, weil ich eine Abzweigung überlief.
Es resultierte ein solider, zufriedenstellender Lauf. Für einen Finaleinzug hätte ich den perfekten Lauf oder mehr Speed gebraucht. Solide war auch die Organisation des Sprints, wenn man sie mit den vorhergehenden Tagen verglich. Jedenfalls blieben grössere Diskussionen aus.

Aufgrund der Qualifikation für die Langdistanz konzentrierte ich mich in der zweite Hälfte der EM auf die Walddisziplinen und liess den Sprint B-Final aus.
Weit auseinanderstehende Bäume, Gras am Boden und weite Sicht – so präsentierte sich das Model Event Gelände für die beiden Finalläufe; ein wahrer Genuss. Doch bald war klar, dass es zwei schnelle und technisch eher einfache Rennen werden.

Middle Final – Eine ungenutzte zweite Chance

Wegen eines falschen Postens bei der Quali der Männer erhielten alle TeilnehmerInnen eine zweite Chance und durften das A-Finale laufen. Die Geländeformen, wie auf dem Ausschnitt zu sehen, waren meist gut ersichtlich und liessen ein hohes Lauftempo zu. Zu Posten 11 wählte ich mit der oberen Route eine sichere Route mit ein paar Höhenmeter und vermied die vielen kleinen Mulden der Strich-/Querroute, was aber bei diesem gut belaufbaren Gelände nicht entscheidend war. Die Alternative auf den unteren Weg habe ich leider übersehen. Sie ist aber deutlich länger und der Ablaufpunkt ist schwieriger zu wählen. Abgesehen von Posten 10 – 11 gab es kaum Routenwahlen. Meistens musste man möglichst nahe am Strich laufen und die Route sauber durchziehen, was mir zu Beginn gut gelang. Unkonzentrierte Momente hatte ich leider auch bei diesem Lauf wieder und überlief prompt einen kurzen Posten oder kontrollierte die Weglaufrichtung nicht mit dem Kompass. Diese kleinen Zeitverluste rächen sich bei einem solch schnellen Lauf umso mehr und schlagen sich aufs Resultat nieder – Platz 84.

Long Final – Die verrückteste Wettkampfvorbereitung aller Zeiten

Mit dem Gefühl, alle möglichen administrativen Fehler (Fehler, die nichts mit der OL-Technik zu tun haben wie z.B. zum falschen Posten laufen, die falsche Postennummer im Kopf haben, etc.) bereits gemacht zu haben, wendete ich mich meinem letzten EM-Einsatz zu. Unter der Annahme, dass auch die Veranstalter alle möglichen organisatorischen Fehler gemacht haben, bereitete ich mich mit den Erfahrungen aus der Mitteldistanz auf den Finallauf vor.

Das Protokoll von 15 Stunden, mit denen niemand gerechnet hatte (oder mit denen man eigentlich hätte rechnen müssen!?)
19.17    Heisse Diskussionen zu Taktik und Bahnanlage im Team – Unsere Wettkampfvorbereitung ist in vollem Gange.
19.54    Ein Aufschrei von der anderen Sofaseite und eine ungläubiges Lachen – Twitter meinte die Langdistanzkarten seien online (gewesen)
19.55    Sprachlosigkeit, Ärger, Mitleid, Unverständnis – Was bedeutet das für die morgige Langdistanz?
20.03    Autogeräusche - Unsere unwissenden Teamleaders platzen in die aufgewühlte Stimmung.
20.05    Sprachlosigkeit, Ärger, Mitleid, Unverständnis – Unseren Teamleaders geht es gleich!
20.14    Florian  (unser Headcoach) am Telefon – Wir willigen ein den Wettkampf durchzuführen und auf das Fairplay zwischen den Nationen zu vertrauen.
20.19    Florian am Telefon – Es können keine neuen Bahnen gelegt werden, somit soll niemand mehr die Karte studieren.
20.27    Florian am Telefon – Ein offizielles Statement folgt.
21.36    Florian am Telefon – Vielleicht werden wir doch auf neuen Bahnen laufen.
22.11    Licht aus – Ich lege mich schlafen und stelle mich auf alles mögliche am morgigen Tag ein.
23.30    tzzzzzzzzzzz – Das offizielle Statement bestätigt, dass der Lauf auf neuen Bahnen stattfindet.
06.00    I’m Yours (Jason Mraz) – Mein Wecker rüttelt mich aus dem Schlaf.
06.13    Marmeladebrot – Beim Frühstück lese ich, dass der Start um eine Stunde nach hinten verschoben wurde.
06.25    Gute Nacht zum Zweiten – Ich lege mich nochmals hin.
08.43    Im Ziel – Bei meiner Ankunft in der Quarantäne erfahre ich, dass die versprochenen „alten“ Karten im Ziel sind und bald erscheinen werden.
10.04        Endlich – es geht los!

Als zweite Starterin kämpfte ich mich durch die hügelige Landschaft und das hohe Gras von Posten zu Posten. Das hohe Gras verleitete mich, die obere Wegroute vom Posten 6 zu Posten 7 zu wählen, wobei die direkte Route im Nachhinein sicherlich schneller gewesen wäre. Einen Fehler erwischte ich zudem kurz vor dem Überlauf, als ich den Postenraum falsch interpretierte.

Gesamthaft gesehen war die Langdistanz mit dem 48. Platz ein versöhnlicher Abschluss der Europameisterschaft! Sie wird mir sicherlich in Erinnerung bleiben; in vielerlei Hinsicht. Sie war eben etwas anders ...